Kolumne: Das Geheimnis glücklicher Eltern

Kolumne: Das Geheimnis glücklicher Eltern

Illustration: Fotolia.com - Jan Engel

Der Weg von der befruchteten Eizelle bis zum Teenager ist gepflastert mit Elternratgebern. Kein Problem, das nicht zwischen zwei Buchdeckel passt und mit 9,95 Euro gelöst werden könnte, so das Versprechen der Verlage. Birte Kaiser über ihren mehrjährigen Feldversuch zum Thema Nachwuchssorgen.

Ich hab’ sie alle: „Oh je, ich wachse“, „Jedes Kind kann schlafen lernen“, „Kinder brauchen Grenzen“. Da, wo früher unsere Reise­führer und Bildbände im Regal standen, drängeln sich heute die Erziehungsratgeber. Und was dort keinen Platz mehr findet, türmt sich im Schlafzimmer, direkt neben dem Kopfende. Böse Zungen – besonders die auf der anderen Seite des Bettes, auf deren Nachttisch höchstens zwei Krimis und ein „Managermagazin“ liegen – behaupten, es gäbe eine For­mel, mit der sich elterlicher Frust be­­rechnen lässt: Die Anzahl der im Haus­halt verfügbaren Ratgeber multi­pliziert mit den Versuchen, die Tipps beim eigenen Nach­wuchs anzu­wenden.

Egal, welchen Weg man einschlägt, es bleibt die Frage „Wieso macht der das?“ Unter­drückte Aggressionen? Früh­zei­tige Puber­tät? Pro­bleme mit Auto­ri­täten? Bin ich gedanklich erst mal an diesem Punkt angelangt, ist es nicht mehr weit bis zu meiner Stamm­buch­handlung am Mühlen­kamp, vor­letztes Regal hinten links, untere Ab­teilung, gleich neben „Natürliche Familien­pla­nung“. Ich überfliege 13 Klappen­texte, guck´ nach, ob der Autor selbst Kinder hat und entschließe mich am Ende für das Buch, das die schlimmsten Beispielfälle bringt. Wenn ich da dann lese „Jonathan (6) verwüstet jeden Tag sein Kinderzimmer und weigert sich, mit Bart­trägern zu reden“, fühle ich mich gleich besser. Je patho­logischer sich die anderen be­nehmen, desto un­proble­ma­tischer erscheint einem das eigene Kind. So gesehen hat sich der Ratgeber-Kauf bereits gelohnt. Wirklich Hilfreiches entdecke ich jedoch nur selten.

Das lästige Thema Aufräumen zum Beispiel. Eine Kinder­psycho­login, die aussieht wie Laura Ashley, schlägt vor, das Auf­räu­men allabendlich in ein lustiges Spiel zu verwandeln. Mit Socken­mon­stern, die gefangen werden müssen, einem Wer-sammelt-die-meisten-gelben-Legos-Wettbewerb und klei­nen Prei­­sen für den „Picobello-Champion“ des Tages. Klingt päda­go­gisch wert­voll, klappt aber nur so lange, bis der „Picobello-Champion“ merkt, dass er ge­leimt wird. Danach macht er überhaupt keinen Handschlag mehr ohne Löse­geldforderung.

Oder die Frage, wie man Kindern Vitamine näher bringt. Ich lese, dass ich Radieschen zu kleinen Mäusen schnitzen soll und wie ich coole Gurkenschlangen basteln kann. Und tatsächlich, die Meute am Tisch bricht nicht sofort in Würgegeräusche aus, als ich mich mit dem Gemüseteller nähere. Gegessen wird das Zeug aber trotzdem nicht, sondern nur damit gespielt. Die welke Radies­chenmaus finde ich zwei Tage später in der Wasch­maschine wieder.

Am Ende mache ich dann doch wieder alles so, wie ich es für richtig halte, nur mit dem guten Gefühl, dass die ver­meint­lichen Profis auch keine Ahnung haben. Das Kind ist in der Zwischenzeit von ganz alleine wieder normal geworden und steuert bereits auf seine nächste Problemphase zu. Und ich? Suche noch immer nach dem ultimativen Erziehungs­ratgeber, der mir Antworten auf die wirklich wichtigen Fragen gibt: Zum Bei­spiel, ob es moralisch in Ordnung ist, zu sagen, McDonalds habe samstags geschlossen. Ich möchte wissen, wie man sich den Nachbarn gegenüber ver­hält, wenn der Hörer der Gegen­sprech­anlage nicht eingehängt ist und man stundenlang mit der „Mama-rastet-aus“- Liveübertragung den Eingangs­bereich des Hauses beschallt hat. Oder was man tut, wenn das eigene Kind in der Supermarktschlange an­fängt, die Körperproportionen der um­stehenden Kunden zu kom­mentieren.

Dieser Ratgeber muss vermutlich noch geschrieben werden, einen Titelvorschlag hätte ich aber jetzt schon: „Das Geheimnis glücklicher Eltern“.

Unsere Kolumnistin: Birte Kaiser (43) ist freie Journalistin. Bis zur Geburt ihres ersten Sohnes hat sie fest für die „Für Sie“ gearbeitet. Jetzt schreibt sie regelmäßig als freie Mitarbeiterin für diverse Frauenzeitschriften und für ALSTERKIND. Sie lebt mit ihrem Mann und den beiden Söhnen Hannes (9) und Mats (6) in Winterhude. www.birtekaiser.de

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