Kolumne: Die Webcam auf dem Gästeklo

Kolumne: Die Webcam auf dem Gästeklo

Es soll ja vorkommen, dass ein Krabbelkind mit dem Finger auf einer Zeitschrift herumdrückt, weil es denkt, das wäre ein Touchscreen. Eltern lächeln darüber – aber nicht sehr lange. Spätestens, wenn die Kleinen alt genug sind, um Mamas Handy zu manipulieren, beginnt für die Erwachsenen der Ernst des digitalen Lebens.

Neulich saß ich im Bus, als es aus meiner Handtasche bellte. Ich habe keinen Hund und wenn ich einen hätte, dann bestimmt keinen, der in eine Handtasche passt. Da kann man sich ja gleich ein Meerschweinchen kaufen und es Hasso nennen. Das Bellen in der Tasche kam von meinem Mann, zumindest stand sein Name auf dem Handy-Display. Normalerweise hab’ ich Gitarrenmusik als Klingelton. Die Hahnenschreie, den „Starwars“-Titelsong oder eben das Hundebellen überlasse ich gern den Computernerds und Systemadministratoren, die finden das lustig. Meine Kinder übrigens auch. Darum gehört es zu ihren Lieblingsscherzen, heimlich meinen Klingelton zu ändern. Sie können sich kringelig lachen, wenn ich dann hektisch suchend meinen Körper abklopfe, weil das asthmatische Tuckern einer startenden „Harley-Davidson“ aus meiner Jackentasche dröhnt und alle Leute gucken. Im Gegensatz zu mir, wissen sie auch auf Anhieb, wie man solche Sachen wieder ausschaltet.

Mir sind technische Geräte, die über den Bedienungsmodus eines Staubsaugers hinaus gehen, suspekt. Das liegt an meinem Alter. Ich weiß zwar, wie ich meine Texte auf dem Computer schreibe, ich kann E-Mails empfangen und verschicken und sogar Fotos und Musik wiederfinden. Aber wenn mal 'was nicht klappt, bin ich aufgeschmissen. Und ich käme nie auf die Idee, einfach mal ein bisschen an den Einstellungen herum zu fummeln. Never ever! Meine Kinder sind da angstfrei. Für sie ist alles, was einen Bildschirm hat, eine Art modernes Überraschungsei. Einfach mal irgendwo irgendwas öffnen und schauen, was man kriegt. Sie begreifen in Lichtgeschwindigkeit, wie man Spiele herunterlädt und Videos bei „Youtube“ findet, die zu begeisterten Aussagen führen wie: „Hier Mama, guck mal was passiert, wenn man eine Packung ‚Mentos‘ in eine Colaflasche tut und schüttelt.“ Jetzt kann man sich natürlich darüber freuen, dass die Sauerei nur virtuell stattgefunden hat und der eigene Wohnzimmerteppich sauber geblieben ist. Trotzdem bin ich immer zum Sprung bereit, wenn mein großer Sohn vor „Google“ sitzt. Neulich hat er für ein Schulreferat zum Thema Ritter die Suchbegriffe „Schwerter“ und „Scheiden“ eingegeben und wollte danach von mir wissen, was „notgeile Hausfrauen“ sind. „Frag’ Papa“, hab’ ich gesagt, aber der war gerade nicht da. Wobei selbst Abwesenheit in der heutigen Zeit kein echtes Hindernis mehr ist. Wozu gibt es „Skype“? Übrigens auch so ein Programm, an das ich mich erst gewöhnen musste. Inzwischen habe ich gelernt, dass man auf gar keinen Fall halbnackt durch die Wohnung laufen sollte, wenn ein Familienmitglied vorm Rechner sitzt. Es könnte sein, dass gerade ein Arbeitskollege oder ein Klassenkamerad zuschaut, auch wenn der eigentlich drei Kilometer weit weg wohnt.

Unsere Kinder werden mit diesem ganzen Zeug groß. Für sie ist das so normal, wie für uns damals „Tri-Top“-trinken oder „Heidi“-gucken. Wenn sie größer sind, werden sie alle belächeln, die immer noch einen Festanschluss haben (also ihre Eltern). Sie werden die Augen verdrehen, wenn ihre Mutter nicht kapiert, wie sie via „Bluetooth“ mit ihrem iPad den Drucker bedient und ihren Vater auslachen, wenn der bei „Angry birds“ immer danebenschießt. Und statt heimlich Regenwürmer in die Wohnung zu schmuggeln oder die Türklinken mit Zahnpasta zu beschmieren, werden sie unbemerkt eine Webcam auf dem Gästeklo installieren und die Bilder bei „Facebook“ ins Netz stellen. Vorbei die Zeiten, als ein Klingelstreich noch ganz analog und von Hand ausgeführt wurde. Die Zukunft bellt.

Unsere Kolumnistin: Birte Kaiser (43) ist freie Journalistin. Bis zur Geburt ihres ersten Sohnes hat sie fest für die „Für Sie“ gearbeitet. Jetzt schreibt sie regelmäßig als freie Mitarbeiterin für diverse Frauenzeitschriften und für ALSTERKIND. Sie lebt mit ihrem Mann und den beiden Söhnen Hannes (9) und Mats (6) in Winterhude. www.birtekaiser.de

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