Kolumne: Grenzerfahrungen auf Reisen

Kolumne: Grenzerfahrungen auf Reisen

Der Begriff „Erholungsreise“ klingt ein kleines bisschen boshaft, wenn man gerade mit gelangweilten Kindern im Flugzeug sitzt oder durch den regennassen Süd-Harz wandert. Immerhin weiß man danach, dass es zuhause wirklich am allerschönsten ist.

Es gibt Manager-Seminare, in denen die Teilnehmer eine Nacht im Freien schlafen sollen oder ein hochseetaugliches Floß bauen müssen. Das nennt sich dann „eine extreme Herausforderung meistern“ und soll die Manager fit machen für ihren stressigen Alltag.

Dass ich nicht lache. Ich kenne haufenweise Eltern, die haben seit drei Jahren nicht mehr ordentlich geschlafen und würden ihr Augenlicht dafür geben, wenigstens mal eine Nacht Ruhe zu kriegen, gerne auch im Freien. Und ein hochseetaugliches Floß könnten die meisten Mütter locker aus den Dingen zusammenbasteln, die sie „für alle Fälle“ sowieso in ihrer Handtasche mit sich herum schleppen. Das ist keine extreme Herausforderung, sondern das ganz normale Leben mit Familie.

Wer wirklich mal an seine persönlichen Grenzen und darüber hinaus kommen will, sollte in den Urlaub fahren. Dafür muss es weder die Nordspitze Grönlands noch der indonesische Dschungel sein, Dänemark reicht völlig. Hauptsache man reist mit Kindern.

Der Adrenalinspiegel steigt ja immer schon ein paar Tage vor der Abfahrt. Da erfährt man dann, dass ein Klassenkamerad des Sohnes Windpocken hat und im Kindergarten gerade ein hartnäckiger Magen-Darm-Virus die Runde macht. Jedes kleinste kindliche Räuspern wird fachärztlich abgeklärt und Verabredungen mit ungeimpften Spielkameraden abgesagt. Schafft man es gesund bis zum Ferienanfang, müssen nur noch die Eltern aufpassen, dass sie sich beim Kofferschleppen keinen Rückenschaden holen. Kaum zu fassen, was für ein Gepäckaufkommen wir bereits bei einem verlängerten Wochenende haben. Unter zwei großen Reisetaschen, diversen Rucksäcken mit Ersatzkleidung und ein paar Kuscheltieren geht da gar nix. Unsere Nachbarin Frau Söder, die den Krieg noch miterlebt hat, fragt jedes Mal, wenn sie uns so sieht, ob die Russen kommen.

Die erwähnten Kuscheltiere dienen übrigens einzig und allein dem Zweck, irgendwo auf der Reise verloren zu gehen. Das kann schon beim Tanken in der Barmbeker Straße passieren, wenn die Kinder unbedingt noch mal aussteigen müssen, um sich beim abgelenkten Vater ein „Donald Duck“-Heft oder wenigstens eine Tüte Gummibärchen zu erquengeln. Genau so gern bleibt das heiß geliebte Schlaf-Schaf aber auch in einem Flugzeug zurück, wo es aus Spaß in eine Kotztüte gesteckt und dort vergessen wurde. Eltern hilft in solchen Fällen eigentlich nur der Griff in die ganz und gar unpädagogische Trickkiste. Man könnte zum Beispiel behaupten, Airlines und Tankstellenbetreiber hätten sich EU-rechtlich verpflichtete, liegengebliebene Stofftiere postwendend an die Besitzer zurück zu senden. Das verschiebt das Problem immerhin um 14 Tage. Ganz vorausschauende Eltern kaufen Kuscheltiere aber sowieso immer im Doppelpack. Das sind übrigens dieselben, die auf Langstreckenflügen einen DVD-Player einpacken und dann ihre Ruhe haben, während unsere Kinder sich die Zeit damit vertreiben, gegen den Vordersitz zu treten, den Tisch 376 Mal hoch und runter zu klappen oder aufs Klo zu gehen, um dort mit der Spülung rumzuspielen bis die Stewardess kommt und schimpft.

Apropos schimpfen. Neulich sind wir ein paar Tage zum Skifahren nach Bad Sachsa in den Süd-Harz gefahren, weil wir schon häufiger gehört haben, dass Deutschland ja auch ganz hübsch ist und man gar nicht immer so weit weg muss und „hauptsache“ die Kinder sind glücklich und all die anderen Vorurteile. Ich will jetzt mal nicht erzählen, wie die Pension heißt, in der wir gewohnt haben, nur dass sie heißt wie meine Tante Ingeburg. Auf jeden Fall war es ungewohnt für uns, dass diesmal nicht wir diejenigen waren, die unsere Kinder angebrüllt haben, sondern der Pensionswirt. Er wollte eine Getränkebestellung aufnehmen, aber der Kleine war noch nicht ganz fertig mit seinem Lied. Das nächste Mal brüllte er, weil ihm die Schritte der Kinder auf der Holztreppe zu laut waren. Da fand ich, dass es jetzt mal an der Zeit wäre, den Wirt anzubrüllen, was ja auch nicht die feine Art war aber zumindest eine neue Erfahrung.

Und darum geht es doch schließlich im Urlaub, um neue Erfahrungen, um Erlebnisse, über die man noch in zehn Jahren spricht, um einen erweiterten Horizont und manchmal eben auch um extreme Herausforderungen. Vier Tage Süd-Harz im Nieselregen mit zwei Familien und Ingeburg war so eine extreme Herausforderung. Falls ein Manager unter den Lesern ist: Probieren Sie es gerne einmal selbst aus. Ach, und wenn Sie schon mal da sind, vielleicht könnten Sie ein bisschen die Augen offen halten. Irgendwo muss noch eine grüne Stoffschildkröte rumliegen.

Unsere Kolumnistin: Birte Kaiser (43) ist freie Journalistin. Bis zur Geburt ihres ersten Sohnes hat sie fest für die „Für Sie“ gearbeitet. Jetzt schreibt sie regelmäßig als freie Mitarbeiterin für diverse Frauenzeitschriften und für ALSTERKIND. Sie lebt mit ihrem Mann und den beiden Söhnen Hannes (9) und Mats (6) in Winterhude. www.birtekaiser.de

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