Kolumne: Was man nicht auf dem Kopf hat

Kolumne: Was man nicht  auf dem Kopf hat

Illustration: Fotolia.com - sharpnose

Die meisten Eltern müssen nur einen Zettel an irgendeiner Tür kleben sehen, schon juckt ihnen der Kopf. Kein Wunder, es ist gerade mal wieder Hochsaison für Kopfläuse.

Kinder geben einem so viel zurück, heißt es. Gemeint sind Liebe, Freude, eigene Kindheitserinnerungen … solche Dinge eben. Aber das ist natürlich längst nicht alles. Neben immateriellen Gütern schleppen sie einem ja auch noch vieles andere mit ins Haus. Schneebälle zum Beispiel, die sie auf dem Schulweg geformt, im Ranzen verstaut und dann beim Überschreiten der heimischen Türschwelle vergessen haben. Im Gegensatz zu unserem Parkett. Das vergisst gar nichts und schon überhaupt nicht eine Wasserlache, die von Freitagnachmittag bis Sonntagabend Zeit hatte einzuziehen. Manchmal ist es auch eine alte Fahrradkette oder eine angeblich obdachlose Katze (… mit fünf Kilo Übergewicht und einem Halsband mit Adressmarke), die von den Kindern mitgebracht wird. Und manchmal auch Tiere, die wesentlich kleiner sind, Läuse zum Beispiel.

Ich kann mich noch gut an den Tag erinnern, als ich den verhassten Zettel zum ersten Mal an der Kindergartentür gesehen hatte „Achtung Läusealarm“ stand dort und ich fing augenblicklich an, mich am Kopf zu kratzen. Bei dem schütteren, semmelblonden Haar unserer Jungs war die Leibesvisitation zwar schnell erledigt, das Thema „unfreiwillige Mitbewohner“ taucht seitdem aber immer wieder mit der Verlässlichkeit einer deutschen Finanzbehörde bei uns auf.

Wenn ich zurückdenke, waren Läuse schon zu meiner Grundschulzeit verbreitet, es sprach bloß niemand darüber. Hin und wieder kamen ein paar Kinder unerwartet mit raspelkurzen Haaren zur Schule oder sie rochen so merkwürdig nach „Goldgeist“. Kein Wunder, hatten wir doch alle zur Einschulung diese neon-orangefarbenen Verkehrsanfängermützen bekommen, die niemand auseinanderhalten konnte und man darum ständig mit der falschen auf dem Kopf nach Hause kam. Quasi ein kostenloses „Park-and-Ride“-System für die winzigen Krabbeltiere, bequemer hätten die es kaum haben können. Aber die „Pediculus humanus capitis“, so der offizielle Name, schafft es offenbar auch ohne Verkehrsanfängermützen ihre Art zu erhalten. Der Zettel hing im Winter auf jeden Fall beinahe durchgängig an der Kindergartentür. Mütter hatten Standleitungen eingerichtet, auf denen die neusten Informationen ausgetauscht wurden: „Du, wir haben Läuse und Anna hat doch gestern bei Euch gespielt. Guck lieber mal nach.“ Oder „Es soll ja jetzt so ein neues Zeug geben, das vorbeugend hilft. Bring mir doch bitte mal drei Paletten davon von ‚Budni’ mit.“ Oder auch „Ist bei euch noch Platz in der Gefriertruhe? Ich muss die Kuscheltiere vereisen.“

Das ist ja sowieso immer das Schlimmste am Läusealarm, die ganze Kollateral-Arbeit, die man damit hat. Als Läuse-Anfänger hätte man ja am liebsten schnell mal eben die ganze Wohnung renoviert damit nichts, was mehr als vier Beine hat, überlebt. Sämtliche im Umlauf befindlichen Klamotten wurden eingesammelt und gereinigt. Betten wurden abgezogen und zum ersten Mal im Leben die „Kochwäschefunktion“ der Waschmaschine benutzt. Sofas, Teppiche und zur Sicherheit auch noch die Gardinen abgesaugt. Plüschtiere konfisziert und in Mülltüten verpackt in Quarantäne ins Eis oder wenigstens auf den Balkon geschickt. Und dann musste auch noch jeder aus der Familie dran glauben. Ob verlaust oder nicht, alle wurden mit dem Mittel behandelt, das man rasch in der Notapotheke gekauft hat. Es gibt ein Foto von unserer Familie, auf dem wir alle vier mit Badekappen auf dem Kopf „Mensch-Ärgere-Dich-Nicht“ spielen und das wirkt, als wäre es im Aufenthaltsraum in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie aufgenommen.

Erst im Laufe der Zeit und mit zunehmender Erfahrung ebbte unser Aktionismus ein wenig ab. Stofftiere kommen jetzt zusammen mit dem Bettzeug und Mützen bei 60 Grad in die Waschmaschine, fertig. Badekappen setzen wir nicht mehr auf, Läuse-Shampoo haben wir im Sixpack in der Vorratskammer stehen und „Achtung Läuse“-Zettel lösen nicht mehr automatisch eine Familien-Hysterie aus. Anderen Betroffenen aus unserem Bekanntenkreis geht’s ähnlich. Sie stöhnen einmal kurz auf, wenn’s mal wieder so weit ist, fügen sich in ihr Schicksal und werfen einen kurzen Blick auf den Kalender: Nur noch vier Monate, dann ist die krabbelige Hauptsaison endlich vorbei.

Unsere Kolumnistin: Birte Kaiser (43) ist freie Journalistin. Bis zur Geburt ihres ersten Sohnes hat sie fest für die „Für Sie“ gearbeitet. Jetzt schreibt sie regelmäßig als freie Mitarbeiterin für diverse Frauenzeitschriften und für ALSTERKIND. Sie lebt mit ihrem Mann und den beiden Söhnen Hannes (9) und Mats (6) in Winterhude. www.birtekaiser.de

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