Sie sind hier: ALSTERKIND & ELBEKIND / Lies mich! / Kolumne / Kolumne: Das Leben ist kein Ponyhof
Kolumne: Das Leben ist kein Ponyhof
Die Tage, in denen der einzige feste Termin, den ein Kind hatte, der Beginn der Sesamstraße war, sind lange vorbei. Ohne ausgeklügeltes Zeitmanagement und hochkarätige Frühförderung geht heute selbst bei den Kleinsten gar nichts mehr.
Die geplante Fußball-Profi-Karriere unseres Jüngstens scheiterte bereits zehn Minuten nach Anpfiff der ersten Probestunde. Als Aufwärmtraining sollte „Ticken“ gespielt werden. Kaum dass der Trainer das Startsignal gegeben hatte, brüllte auch schon alles durcheinander. Nicht auf dem Spielfeld, sondern am Rand: „Beweg dich, Johannes!“ „Zieh ihn ab, Leonardo!“ „Schneller, Malte, schnapp‘ ihn dir!“. Die Väter und Mütter der Pampers-Ligisten waren bereits heiser, bevor der erste Ball auf den Rasen rollte. Eingeschüchtert von so viel elterlichem Sportsgeist entschied unser Sohn, dass Fußball doch nichts für ihn sei und verließ tränenüberströmt die Kampf-Arena.
Tja, das Leben ist nun mal kein Ponyhof, das können die Kleinen doch gar nicht früh genug lernen. Schließlich leben wir in einer hochkomplexen, globalisierten Welt in der Leistungsträger und keine Weicheier gefragt sind. Darum wollen wir das Beste für unsere Sprösslinge – und davon möglichst viel. Entsprechend viel sollte auch im Geldbeutel sein, sonst können wir sie uns nämlich gar nicht leisten, die Chinesischkurse für Dreijährige, die TV-Casting-Vorbereitungs-Seminare oder die Einsteiger-Wochenenden für kleine Golfer. Selbst Eltern, die immer der Ansicht waren, dass man es ja auch nicht übertreiben muss mit der ganzen Frühförderei, werden angesichts der vielen Mini-Talente um sie herum, nervös. Nicht dass der eigene Nachwuchs am Ende der einzige ist, der in der Vorschule noch nicht fließend schreiben und lesen kann oder weiß, was „Bruttosozialprodukt“ auf Englisch heißt.
Auf Nachfrage sind komischerweise alle Eltern der Meinung, man sollte den Kindern nicht zu viel an festen Terminen, Veranstaltungen und Events zumuten. Trotzdem gleicht die Suche nach einem gemeinsamen Spieltermin zwischen zwei Kindern der Planung einer Aufsichtsratssitzung. Als erstes holen beide Mütter ihre „iPhones“ raus und schalten die Kalenderfunktion ein. „Also Montag ist Geige, Dienstag erst Hockey dann Nachhilfe, Mittwoch sind wir schon verabredet, um den neuen Klavierlehrer auszuprobieren und Freitag haben wir erst Schwimmen und für 17 Uhr haben wir endlich einen Platz im Entspannungskurs gekriegt. Mein Kleiner ist manchmal so angespannt, keine Ahnung warum. Vielleicht Donnerstag nach Portugiesisch so um 16 Uhr?“ „Hmmm, mal sehen. Eigentlich wollten wir da zu dieser Vorlesung ,Kleine Forscher im Museum’. Aber wie wär‘s danach, so ab 17 Uhr?“ Multipliziert sich der Terminplan um weitere Geschwisterkinder muss auch schon mal ins nächste Quartal ausgewichen werden.
Dazu kommen die ganzen Termine, über die die Großeltern immer behaupten, „früher ging das doch auch ohne“. Logopädie, Ergotherapie, Lerntherapie. Im Café letztens saßen zwei Mütter mit ihren zweijährigen Kindern neben mir. Die Kleine mit den rosa Spängchen wollte Kuchen. „Hat sie ‚Tuchen‘ gesagt?“, fragte die eine der Mütter skeptisch und versuchte ihrer Tochter das Wort des Grauens noch einmal zu entlocken. Aber die Kleine war klug und blieb stumm. Daraufhin folgte eine angeregte Unterhaltung unter den Erziehungsberechtigten über den richtigen Zeitpunkt für eine angemessene Sprachförderung. Nun gut, wenn ein Kind unter zehn nicht wenigstens einmal professionell therapiert wurde, spricht man hinter vorgehaltener Hand ja schon von Vernachlässigung.
Angefeuert wird der Termin-Wahn von einem künstlich verknappten Angebot. Ich nehme zumindest an, dass genau das der Trick ist. Egal wo man anruft – immer wird man erst mal auf die Warteliste gesetzt. Bevor ich Mutter wurde, hatte ich mit diesem Wort vielleicht zwei- oder dreimal Kontakt. Seit über acht Jahren begleiten mich Wartelisten durch meinen Alltag. Das ging schon bei der Schwangerschaftsgymnastik los und hört beim Kaspertheater noch lange nicht auf. Kein Wunder, dass man irgendwann alles nimmt, was einem gnädigerweise angeboten wird. Den Musikkurs Freitagabend um 18 Uhr? Aber gern. In der ADSH-Gruppe ist spontan ein Platz am Dienstagvormittag frei geworden? Super, nehm ich!
Neulich kriegte ich mit, wie sich zwei kleine Mädchen im Kindergarten unterhielten. Die eine: „Wollen wir Vater, Mutter, Kind spielen?“ Die andere: „Kann nicht, ich spiel‘ schon Hund mit Lilly. Kannst dich ja auf die Warteliste setzen.“ Wie gesagt: Das Leben ist kein Ponyhof.
Unsere Kolumnistin: Birte Kaiser (43) ist freie Journalistin. Bis zur Geburt ihres ersten Sohnes hat sie fest für die „Für Sie“ gearbeitet. Jetzt schreibt sie regelmäßig als freie Mitarbeiterin für diverse Frauenzeitschriften und für ALSTERKIND. Sie lebt mit ihrem Mann und den beiden Söhnen Hannes (9) und Mats (6) in Winterhude. www.birtekaiser.de