Kolumne: Kommt ‘ne Mutter zum Arzt

Kolumne: Kommt ‘ne Mutter zum Arzt

Aufgeschlagene Knie, Mandelentzündung, verschluckte Centstücke ... Mit der Geburt der Kinder wird eine Frau nicht nur Mutter. Sie wird Rettungssanitäterin, Bauchschmerz-Expertin und Nachtschwester in einem. Birte Kaiser über Trostpflaster, Simulanten und ihr zweites Zuhause im Wartezimmer des Kinderarztes.

Woran man endgültig merkt, dass man Mutter ist? 1. Man hat immer ein Fläschchen Arnika-Kügelchen in der Handtasche. 2. Man kennt alle Tricks, um Blutflecken raus zu kriegen. 3. Man sieht seinen Kinderarzt häufiger als seinen Mann. Rein steuerlich könnte ich die Adresse Jarrestraße 42 vermutlich als Zweitwohnsitz anmelden, so oft, wie ich da im Wartezimmer sitze: Bindehautentzündung, Husten, Husten wird nicht besser, aber der Inhalator vom Patienten kategorisch abgelehnt. Zwei Tage später ist der Große in einen Nagel getreten. Passt aber ganz gut, wir wollten sowieso gerade vorbeikommen, jetzt hat er nämlich die Bindehautentzündung. Und wo ich schon mal da bin: Der Kleine hat gestern eine Tinti Badetablette aufgegessen, muss ich mir Sorgen machen?

Im Sorgenmachen habe ich ja inzwischen den schwarzen Gürtel. Kein Krankheitserreger, der noch nicht bei uns vorbei geschaut hat. Und sollten die gerade mal Ruhe geben, gibt's ja immer noch Arme, die man sich auskugeln kann, Vorderzähne, die dem Wannenrand nicht standhalten oder die kleinen Blinklichter von Lego, die perfekt in ein Nasenloch passen.

Natürlich entwickelt man im Laufe der Jahre eine gewisse Routine. Mütter erkennen ja meist schon am Schreien ihres Kindes, ob sie noch kurz den Geschirrspüler zu Ende ausräumen können oder ob sie „Baywatch“-mäßig zum Unfallopfer sprinten müssen. Am schlimmsten ist die Tonfolge „lautes Krachen mit anschließender Stille“. Sowieso ist Stille nur dann ein gutes Zeichen, wenn die Kinder schlafen sollen. Im Wachzustand bedeutet das längere Ausbleiben von Geräuschen, jemand hat die Schublade mit den wasserfesten Lackstiften entdeckt. Oder die aufgeplatzte Naht am Bein des Plüschelefanten. Einer von diesen XXL-Dingern vom Dom, der mit etwa Siebenmilliarden Styroporkugeln gefüllt ist. Kinder haben ja ein unglaubliches Auge für Details.

Meine sind beispielsweise in der Lage, ein Eis-Schild auf 1,5 Kilometern Entfernung im Nebel zu entdecken. Bloß beim routinemäßigen Seh-Test der U9 tut der Große so, als könne er seine eigenen Fußspitzen nicht erkennen. Und weil’s gerade so lustig ist, malt er Menschen mit 16 Fingern und zählt alle Schimpfworte auf, die er vom benachbarten Schulhof her kennt. Mit einer Überweisung zum Augenarzt verlassen wir die Praxis – immerhin wurden wir nicht zum Psychologen geschickt. Ich habe jedes Mal ein ungutes Gefühl, wenn ich mit meinen Jungs zu einem Arzt muss, der eigentlich Erwachsene behandelt. Mal abgesehen von ein paar zerfledderten Märchenbüchern und einem unvollständigen Puzzle gibt es dort oft nicht viel, mit dem sich Kinder die Wartezeit verkürzen könnten. Außer vielleicht, man befragt sämtliche Anwesenden nach dem Grund ihres Besuches. Kommt die Unterhaltung nicht so recht in Schwung, kann man ja immer noch ein paar Details von Mamas letzter Blasenentzündung zum Besten geben.

Aber man härtet ab als Mutter. Wer eine kindliche Magen-Darm-Grippe im Urlaubsflieger nach Mallorca überstanden hat, wer gegen Scharlach, Windpocken und Läuse gekämpft hat, ist nicht mehr so leicht aus der Ruhe zu bringen. Seit ich Mama, Zahnfee und Krankenschwester in Personalunion bin, habe ich außerdem gelernt, pragmatisch zu sein: Wer beim Impfen nicht über 80 Dezibel brüllt, darf hinterher in die Wackellokomotive vor Rewe. Wenn unten ein Zäpfchen rein muss, gibt’s oben ein Stück Schokolade. Und nach Kindergeburtstagen steht grundsätzlich ein Eimer neben dem Bett.

Aber auch die Kinder verfeinern ihr medizinisches Fachwissen. So können sie inzwischen Krankheitssymptome perfekt simulieren. Schon der Kleine ist in der Lage, täuschend echt zu humpeln, wenn der Weg vom Spielplatz nach Hause ihm zu lang erscheint. Und montagmorgens wird aus dem Kinderzimmer gern mal gehustet und geröchelt, dass jedes Kriegslazarett klingt wie ein Symphonieorchester. Spontanheilung bringt meist nur der Hinweis, dass dann ja wohl leider der für nachmittags geplante Schwimmbadbesuch ausfallen muss. Quid pro quo.

Wenn die Kinder groß sind, bin ich in Krankheitsdingen wahrscheinlich so versiert, dass ich ohne ein einziges Studiensemester mein Physikum absolvieren könnte. Und dann? Gründe ich den Verein „Mütter ohne Grenzen“, eine Selbsthilfegruppe für Eltern, deren Kinder jedes Virus mitnehmen, das gerade umgeht. Treffpunkt: Wartezimmer beim Kinderarzt. Zeiten: täglich, außer mittwochs.

Unsere Kolumnistin: Birte Kaiser (43) ist freie Journalistin. Bis zur Geburt ihres ersten Sohnes hat sie fest für die „Für Sie“ gearbeitet. Jetzt schreibt sie regelmäßig als freie Mitarbeiterin für diverse Frauenzeitschriften und für ALSTERKIND. Sie lebt mit ihrem Mann und den beiden Söhnen Hannes (9) und Mats (6) in Winterhude. www.birtekaiser.de

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