Kolumne: „Schön. Und was soll das sein?“

Kolumne: „Schön. Und was soll das sein?“

Eltern wünschen sich kreative Kinder. Nur an die Folgen denkt niemand. Zum Beispiel an die wagenradgroßen Topfuntersetzer aus Stoffresten, die fünfte großformatige Laterne oder die unzähligen bemalten Senfglas-Blumenvasen, die alle gut sichtbar in der Wohnung platziert werden sollen. Ein schmaler Grat zwischen künstlerischer Freiheit und Stauraumproblemen.

Tiere haben ja ganz erstaunliche Fähigkeiten entwickelt, um die eigenen Familienmitglieder zu identifizieren. Zebras erkennen sich an den Streifen, Pinguine am Piepen und Fledermäuse machen ihre Jungen am Geruch aus. Wir Menschen sind auf solche Tricks evolutionsbedingt nicht mehr angewiesen, trotzdem beherrschen wir sie noch. Ich kann zum Beispiel beim Elternabend aus vierundzwanzig Bauernhofbildern sofort herausfinden, welches von meinem Sohn stammt: Es ist das einzige, auf dem nichts außer ein schwarzes, dreibeiniges Huhn ist. Wenn es ums Malen geht, hatte er noch nie ein besonders gutes Auge für Details. Dafür ist er immer als Erster fertig. Anders beim Basteln. Da kann es schon mal vorkommen, dass eine seiner Installationen zwei Stunden Zeit und 600 Meter Tesafilm in Anspruch nimmt. Die Gebilde, für die er neulich einen ganzen Stapel von Papas gutem Firmenpapier verwendet hat, wachsen mitunter auf mehrere Kubikmeter Größe an und sind so instabil, dass wir tagelang nicht lüften dürfen.

Aber mit so banalen Alltagsproblemen sollte man die künstlerische Freiheit seines Kindes nicht einengen. Ebenso wenig mit der Frage nach dem Sinn und Zweck der Werke oder – noch schlimmer – mit dem Satz „Schön. Und was soll das sein?“. Ich habe im Laufe der vergangenen sieben Jahre gelernt, an den richtigen Stellen zu schweigen. Zum Beispiel wenn die sauteuren Glitzeraufkleber einfach alle übereinander auf ein Stück Pappe geklebt werden. Oder wenn der Dreijährige seine schönen bunten Tuschbilder am Ende komplett mit Dunkelblau überpinselt und ich wieder nichts Vorzeigbares für die obligatorische Aufbewahrungsmappe habe.

Überhaupt Aufbewahrung. Ein Thema, das in Elternkreisen ähnlich kontrovers diskutiert wird wie die Fragen „Impfen: ja oder nein?“, „Fernsehen nicht vorm dritten Lebensjahr?“ oder „Darf das Kind am alkoholfreien Bier nippen?“. Wer offen zugibt, Selbstgemachtes wegzuwerfen, gerät leicht auf eine Sympathiestufe mit Nerzmantelträgern oder Zeitschriftendrückern. Andererseits kennt jeder die Immobilienpreise in Hamburg und weiß, dass sogar die großzügigste Eppendorfer Altbauwohnung irgendwann an ihre Kapazitätsgrenzen stößt wenn man kreative Kinder hat. Zumal sich nur ein Bruchteil der Kunstwerke platzsparend in einer Sammelmappe unterbringen lässt. Spätestens wenn im Kindergarten mal wieder ein Zettel hängt „Bitte bis Montag einen Schuhkarton mitbringen“ ahnt man, dass Großes auf einen zukommt. Auf unserem Balkon steht beispielsweise noch immer der „Kastanienverkaufsstand“, mit dem unser Sohn im Herbst versucht hatte, sein Taschengeld aufzubessern. Erst, als sich eine der gut gefüllten Plastiktüten bedrohlich aufblähte, ließ er sich dazu überreden, sie zusammen mit dem Rest der Mülltonne anzuvertrauen.

Schwerer wird es mit den herkömmlichen Hand- und Fußabdrücken in Gips, dem Setzkasten aus Eierkartonpappe oder dem aus Geschirrhandtüchern zusammengetackerten Wandbehang. Natürlich genießen solche Kunstgegenstände Bestandsschutz. Schon allein, um sie später, beim Besuch der ersten festen Freundin, mal wieder hervor zu holen. Das Problem ist nur, dass der kindliche Geschmack in Sachen Stil und Einrichtung oft von dem der Eltern abweicht. Wenn man beispielsweise gerade Gardinen im Wert eines Kleinwagens im Wohnzimmer aufgehängt hat, kommen die einfach nicht zur Geltung, wenn dahinter die ganze Scheibe voller Window-Color-Benjamin-Blümchens klebt. In solchen Fällen versuchen sich Eltern ja gern in einer Art subtilen Abschiebepolitik à la „Meinst Du nicht, dass sich die Oma ganz doll freuen würde, wenn wir ihr die 16 Fimo-Eierbecher schicken würden?“. Hier ist allerdings Fingerspitzengefühl gefragt. Wer sich ungeschickt anstellt, muss spätestens zu Weihnachten mit großelterlicher Rache rechnen. Zum Beispiel in Form von hässlichen Stofftieren oder dem „Lustigen, singenden Telefon“, bei dem sich der Ton nicht abstellen lässt.

Ach ja Weihnachten. Ich erinnere mich noch ans letzte Jahr, als wir von den Kindern ein ganz entzückendes Mobilé aus Teebeuteln kriegten. Nachdem wir uns herzlich bedankt hatten, schlug ich meinem Mann vor, er solle es doch mit ins Büro nehmen. „Passt bestimmt super zu deinem Klorollen-Stifthalter.“ Er: „Ach, wäre doch schade drum. In deinem Arbeitszimmer kommt es viel besser zur Geltung.“ Das fand unser Sohn auch. Jetzt verbringe ich täglich etwa fünfzehn Minuten damit, die Teebeutel aus der Topf-Palme zu pflücken, in der sie sich verheddern, sobald ein Windzug kommt. Ein paar sind schon aufgerissen und die ersten Pfefferminzkrümelchen wirbeln mit der trockenen Heizungsluft durchs Zimmer. Das „M“ auf meiner Computer-Tatstatur knirscht schon ein bisschen, wenn ich draufdrücke. So werde ich sogar beim Arbeiten permanent an meine Kinder erinnert. Ist doch schön, oder?

Unsere Kolumnistin: Birte Kaiser (43) ist freie Journalistin. Bis zur Geburt ihres ersten Sohnes hat sie fest für die „Für Sie“ gearbeitet. Jetzt schreibt sie regelmäßig als freie Mitarbeiterin für diverse Frauenzeitschriften und für ALSTERKIND. Sie lebt mit ihrem Mann und den beiden Söhnen Hannes (9) und Mats (6) in Winterhude. www.birtekaiser.de

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